Wie entscheiden wir am besten?


Autor: Norbert Bolewski


Es war eine vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und der Schering-Stiftung (Foto 1) veranstaltete sogenannte „Quadriga-Debatte“ die bereits am 29. Januar 2014 in Berlin stattfand und mein Interesse fand.

[caption align=left]Foto 1: Aufgrund des außerordentlichen Interesses an diesem „Quadriga“-Gespräch fand die Veranstaltung in dem auch architektonisch schönen Atrium des Allianz Forums, nahe am Brandenburger Tor in Berlin, statt[/caption]

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Die lange Überschrift für die Diskussionsrunde lautete „Welches Wissen zählt? Entscheidungen zwischen Fakten und Intuition – Der Einfluss von Kunst und Wissenschaft auf unser Handeln“. Olafur Eliasson (Künstler), Charlotte Klonk (Professorin HU Berlin), Peter Raue (Rechtsanwalt) und Gerhard Roth zeigten im Gespräch die Spannweite dieser Thematik auf.

Doch der einleitende Impulsvortrag und die Ausführungen in der Debatte von Prof. Dr. Gerhard Roth (Institut für Hirnforschung, Universität Bremen, Foto 2, links) waren so interessant und von den Aussagen her klar und dominant, dass ich mich vorzugsweise auf seine Ausführungen beschränke.

Unsere Vernunft ist eingeschränkt

Wir lernen seit Kindesbeinen in der Schule und im Studium, dass die beste Entscheidung die ist, die vom Verstand, von der Ratio, geleitet wird. Der Mensch erhebt sich über die Tiere durch den Verstand, durch die Vernunft. Gefühle sind dabei möglichst zurück zu drängen. Die alten Griechen lehrten uns, dass der Verstand im Kopf, die Gefühle im Herzen und die niedrigen Instinkte aus dem Unterleib kommen. Doch ganz so geht es mit der Vernunft nicht zu. Allerdings  gibt es nur eine eingeschränkte Vernunft.

Unser Gehirn

Im menschlichen Gehirn gibt es den großen Bereich der Großhirnrinde, die mit ihren vielen Windungen wie ein großes Netzwerk das Gehirn ausfüllt. Die Entscheidungen werden aber nicht dort, sondern nur in einem sehr kleinen Teil des Gehirns, im limbischen System, abgelegt. Die Großhirnrinde ist gewissermaßen der Speicher. Es gibt dort rund 15 Milliarden Nervenzellen und 500 Billionen Synapsen. Es ist ein gigantisches Netzwerk, weitaus größer als jedes andere bekannte Netzwerk im Universum, und es arbeitet analog. Dort wird tatsächlich alles, was wir je erlebt haben, abgespeichert. Das Arbeitsgedächtnis, der Arbeitsspeicher, das kleine limbische System also, ist indessen der „Flaschenhals“ der Entscheidungen. Es funktioniert digital und verbraucht die größte Stoffwechselenergie. Seine Speichermenge ist begrenzt, Menschen können nicht länger als 5 Minuten kompliziertes Geschehen dort ablegen, um daraus Entscheidungen abzuleiten. Und wir können nur linear denken.

Entscheidungstypen

Man muss sich deshalb mit der Frage beschäftigen, welche Typen von Entscheidungen gibt es. Denn es gibt nicht nur eine Art. Da sind zunächst die scheinbar automatischen Entscheidungen, die wir gar nicht mehr als Entscheidungen wahrnehmen. Meistens sind es die Steuerungen des Körpers. Es sind Gewohnheitsentscheidungen und sie sind nicht kreativ. Insgesamt sind 5 bis 10 Prozent unserer Gesamtentscheidungen solcher Art.

Eine andere Entscheidungsmöglichkeit ist die sogenannte Bauchentscheidung. Sie ist impulsiv, sie ist schnell, weil sie nicht mit dem Gedächtnisspeicher zusammenarbeitet – und häufig Testosteron gesteuert. Sie bieten deshalb nach den Aussagen von Prof. Roth nur Nachteile.  

Logisch rationale Entscheidungen haben indessen den Nachteil, einerseits extrem stressempfindlich zu sein und sie bedürfen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Gedächtnis in der Großhirnrinde, mit seiner hohen Verarbeitungskapazität, auf das aber nur langsamer zugegriffen werden kann. Im Gedächtnis liegen alle unsere Erfahrungen. Allerdings liegen sie nicht klar wie ein Buch vor uns, sondern in intuitiver Form und wir müssen lernen, sie zu nutzen. Dafür müssen wir ihnen Zeit lassen zu „reifen“. Je wichtiger Entscheidungen sind, desto weniger dürfen wir uns unter Zeitdruck setzen. Deswegen ist der Schlaf ein wichtiger, wenn nicht sogar der wesentlichste Faktor. Er ist ein aktiver Zustand und fungiert gewissermaßen als Problemlöser durch den Wegfall von stressbedingten Faktoren. Merke: Unser Gehirn arbeitet im Schlaf genauso wie am Tag.

Konkrete Erkenntnisse für rationale Entscheidungen

Wenn ein wichtiges Problem zu entscheiden ist, kann man die Situation sicher erst einmal vereinfachen, indem man Experten zu Rate zieht, um die Situation auf die möglichen Alternativen zu reduzieren. Das hat aber seine Grenzen. Spätestens nach ein oder zwei Stunden intensiver Diskussion, hat man alle Alternativen oder Möglichkeiten erörtert und sollte die Expertenanhörung abschließen, weil weitere Informationen eigentlich nur noch die Vielfalt erhöhen aber nicht mehr Lösungen erbringen. Die eigentliche Entscheidung sollte man mindestens um sechs, besser um 24 Stunden verlagern. Länger ist aber auch wieder schlechter, weil dann die Erinnerung daran verblasst. Man sollte in dieser Zeit das Problem nicht erneut überdenken oder gar diskutieren. Als wichtigste Regel gilt, nicht ohne Denkpause entscheiden, unter allen Umständen auf „Zeit“ spielen.

Wie filtern wir die richtige Entscheidung?

In unserem Gedächtnis liegen die zu filternden Informationen, die wir nun intuitiv zu einer Entscheidung führen müssen. Junge Menschen können hochintelligent sein, aber sie verfügen über ein geringeres Wissen in Form von Erfahrungen. Die Natur hat es so geregelt, dass etwa um das 28. bis 30. Lebensjahr das Optimum zwischen Informationswissen und Erfahrung gegeben sind. Deswegen sind in der Naturwissenschaft fast alle Nobelpreise an Menschen vergeben worden, die das, was mit dem Nobelpreis geehrt wurde, in diesem Alter geschaffen haben. In den anderen Bereichen wiegen sich Informationsreduzierung und Erfahrungszunahme bis etwa zum 65. Lebensjahr miteinander auf. Vor allem in der Kunst bzw. im künstlerischen Bereich sind indessen noch deutliche Steigerungen bei den Spätwerken erkennbar. Der Grund ist, dass viele Künste auch auf handwerklich zu erwerbende Tätigkeiten und Fähigkeiten aufbauen, für deren Entwicklung viel Zeit gebraucht wird. Als Beispiele dafür wurden einige Komponisten herangezogen aber auch Maler. Die Zeitdimension der Kreativität ist noch nicht gelöst.

Norbert Bolewski


Text: © Norbert Bolewski
Foto 1: © „Foto: David Ausserhofer / Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“
Foto 2: © Norbert Bolewski